Auf a Wort im Achental mit Kerstin Gravermann
Kerstin Gravermann, 35 kommt ursprünglich aus dem Münsterland in Nordrhein-Westfalen und lebt seit einigen Jahren im Chiemgau. Sie ist hauptberuflich Teamleiterin in der Entwicklung bei BMW in München und ehrenamtlich aktiv bei der Bergwacht Marquartstein. Seit kurzem ist Kerstin Gravermann in Unterwössen im Achental zuhause.
Dieses Interview gibt es auch als Podcast zum Anhören:
Du bist bei der Bergwacht Marquartstein / Unterwössen aktiv – seit wann bist du dabei und wie bist du dazu gekommen?
Ich bin 2021 über Umwege zur Bergwacht gekommen, denn ich bin bei der Feuerwehr aktiv gewesen und habe damals im Stuttgarter Raum gewohnt. Es war ein verregneter Tag in den Bergen und wir sind im Alpinmuseum in Kempten gelandet. Ich bin schon immer gerne wandern und klettern gegangen und habe dann gedacht, dass das die perfekte Kombination ist aus Klettern, viel am Berg unterwegs sein und meinem Hang zum Ehrenamt. So hat es mich dann zunächst zur Bergwacht Stuttgart verschlagen, wo ich meinen Dienst auf der Schwäbischen Alb gemacht und dort auch meine Ausbildung begonnen habe.
Welche Ausbildung hast du bei der Bergwacht durchlaufen?
Ich habe eine Ausbildung bei der Bergwacht in Baden-Württemberg begonnen und habe sie dann hier in Bayern abgeschlossen. Insgesamt waren es gut 2,5 Jahre, bis ich die Ausbildung abgeschlossen hatte. In Marquartstein wurde ich großartig aufgenommen von der hiesigen Bergwacht. Ich konnte einen Großteil meiner Ausbildung hier auch anerkennen lassen. Dazu kam dann noch speziell für Bayern der Wintereignungstest und die Winterprüfung, aus dem einfachen Grund, dass die Prüfungen der Bergwacht in Baden-Württemberg nicht die gleichen Winterprüfungsinhalte haben und hier im alpinen Raum ganz andere Anforderungen herrschen.
Dein Einsatz bei der Bergwacht ist ein Ehrenamt, richtig? Wie lässt sich das mit deinem Beruf und Privatleben vereinbaren?
Richtig, es ist ein Ehrenamt und deswegen sind die 2,5 Jahre Ausbildung neben dem Beruf auch recht zeitintensiv mit den Ausbildungsabenden und den Prüfungen. Aber, man lernt ja nie aus und ich freue mich sehr, dass ich aktuell die Möglichkeit habe, noch eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin bei der Bergwacht zu absolvieren und mich so weiterbilden kann in der Patientenversorgung.
Meinen Job bei BMW kann ich an 2-3 Tagen in der Woche vom Home Office aus ausüben. Bei einem etwaigen Einsatz stellt mein Arbeitgeber mich frei für dieses Ehrenamt. Meine große Stütze ist mein Lebensgefährte Matthias, der immer scherzhaft als der beste nicht-aktive Bergwachtler bezeichnet wird. Er hat mich in der gesamten Ausbildung unterstützt, für alle Prüfungen und Übungen mit mir gelernt und geht auch immer mit, wenn wir die Almen herrichten für die Bergmessen oder beim Schwenden. Er begleitet mich auch einmal im Monat zu den Bergwachtwochenenden auf der Schwäbischen Alb, zu denen ich immer noch fahre.
Welche Aufgaben übernimmst du? Und was waren deine Einsätze in diesem Jahr?
Klassisch die technische Rettung, also mit Seiltechnik Patienten nach unten oder nach oben zu retten. Wenn der Patient medizinische Hilfe benötigt, versorgen wir den Patienten zunächst und bereiten dann einen Abtransport mit Hubschrauber oder zum Rettungswagen vor. Dabei kann es sein, dass wir den Patienten auf einer Vakuummatratze in der Gebirgstrage, damit es möglichst patientenschonend ist, transportieren. Hier ist jeder Einsatz individuell und wir müssen uns auf die verschiedenen Gegebenheiten einstellen. Das sind so die klassischen Aufgaben. Meine Ausbildung als Rettungssanitäterin hilft in der Patientenversorgung, da es nicht immer gegeben ist, dass ein Notarzt als erster vor Ort ist. Oftmals sind wir als Bergwachtler die ersten Personen am Patienten und übernehmen als gut ausgestattete Ersthelfer mit einem großen Notfallrucksack die Erstversorgung. Unsere Aufgabe ist es, den Patienten so weit zu stabilisieren, dass wir ihn transportfähig bekommen und die Zeit zu überbrücken, bis bei Bedarf der Notarzt eintrifft.
Ein großer Einsatz dieses Jahr war eine Vermisstensuche. Da haben wir die Schlechinger Bergwacht unterstützt. Die gesuchte Patientin ist selbstständig vom Weg abgekommen, da sie einer Handytour gefolgt ist. Dabei ist sie abgestürzt und hat sich beide Handgelenke gebrochen. Ihr großes Glück war, dass sie nicht bewusstlos war und noch selbstständig den Notruf wählen konnte. Es war eine recht große Suchaktion, bis wir die Patientin gefunden hatten. Der Unfall ist an der Grenze zwischen Österreich und Deutschland passiert, was die Ortung des Handys erschwert hat. Es war auch ein Hubschrauber im Einsatz, da wir die Patientin per Winde bergen mussten, was durch das schwierige Gelände zeitaufwändig war.
Was wünschst du dir von Gästen und Einheimischen, die bei uns in den Bergen unterwegs sind?
Auf jeden Fall immer jemanden vorab Bescheid sagen, wo man unterwegs ist. Am besten auch immer zu zweit oder in einer Gruppe gehen. Wichtig ist auch eine gute Tourenplanung, also zu schauen, traue ich mir die Tour zu, passen die Wetterbedingungen und komme ich mit der Zeit hin? Eine gute Ausrüstung, wie warme Kleidung, passendes Schuhwerk und eine Rettungsdecke ist auf jeden Fall sinnvoll. Eine Rettungsdecke passt in jeden Rucksack und hilft gegen Auskühlen bei z.B. auch leichteren Verletzungen. Ein wichtiger Tipp von mir persönlich ist: Auch mal zu sagen: Nein, denn Gipfel machen wir jetzt nicht mehr, wir drehen lieber um. Unsere Berge laufen uns nicht weg – man kann diesen Berggipfel auch nochmal bei besseren Bedingungen oder mit einer besseren Tagesform gehen.
Was bedeutet dir deine Aufgabe bei der Bergwacht persönlich?
Mir macht es richtig Spaß, etwas wieder zurück geben zu können. Ich habe das Gefühl, das es richtig sinnstiftend ist, was wir bei der Bergwacht machen. Die Bergwacht Marquartstein ist außerdem eine großartige Gemeinschaft. Es bleibt nicht nur bei den Einsätzen, wir gehen auch zusammen zur Sonnwendfeier, wir richten die Bergwachthütte gemeinsam her und haben alle zwei Wochen einen Kameradschaftsabend. Ich bekomme sehr viel zurück und so macht mir das Ehrenamt richtig viel Spaß.
Bei der Bergwacht sind überwiegend Männer aktiv. Wie ist es für dich, als Frau Teil des Teams zu sein?
In der Bergwacht Marquartstein sind wir einige Frauen und ich wurde sehr gut aufgenommen. Es gibt keine Unterschiede, ob Frau oder Mann, wir haben alle die gleichen Aufgaben und das weiß ich sehr zu schätzen. Klar, wenn wir einen Patienten umlagern müssen, achten wir schon darauf, wer am meisten Kraft hat, diese Aufgabe zu bewerkstelligen. Hier zählt aber vor allem Teamwork.
Gibt es einen besonderen Einsatz oder ein Erlebnis, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Ein Einsatz am Hochgern ist mir sehr nahe gegangen. Wir wurden auf eine laufende Reanimation alarmiert, als ich privat am Hochgern unterwegs war. Es war ein wunderbarer Tag kurz vor Silvester mit Sonne und blauem Himmel. Der Patient war mittleren Alters und war mit seiner Ehefrau auf Bergtour gewesen. Dabei ist er auf dem Heimweg von der Hütte ins Tal zusammengebrochen und hat einen Herzstillstand erlitten. Es ist mir sehr nahe gegangen den Schmerz der Ehefrau zu sehen und wie schnell es gehen kann. Es war für mich eine sehr unwirkliche Situation an diesem wunderschönen Tag. Wir haben ihn dann noch mit dem Hubschrauber unter laufender Reanimation nach Traunstein geflogen, konnten ihn aber nicht mehr zurückholen.
Bei solchen Ereignissen ist es auch sehr wichtig, dass wir als Team hinterher darüber sprechen. Wir können uns auch selbst an das Kriseninterventionsteam wenden.
Zur Bergwacht und zum Ehrenamt möchte ich noch sagen, dass wir uns immer über Unterstützung freuen, über Spenden oder aktive Mitarbeit. Gleiches kann ich auch für den Rettungsdienst sagen, in Grassau wie auch in Prien. Der einfachste Weg, viele nette und gleichgesinnte Menschen kennenzulernen ist, sich selbst zu engagieren.
Was bedeutet für dich Heimat?
Heimat bedeutet für mich da, wo ich mich wohlfühle. Es muss nicht unbedingt ein bestimmter Ort sein. Es kann auch bei mir z.B. mein Camper sein an einem schönen Berggipfel oder einem Bergsee.
Was ist für dich „Typisch Achental“?
Für mich ist typisch Achental zum einen das Flache Richtung Chiemsee und zum anderen die Berggipfel und die unzähligen Möglichkeiten an Freizeitaktivitäten. Ich kann klettern, wandern, Radfahren, schwimmen oder Skifahren.
Wo ist dein Lieblingsplatz im Achental und warum?
Ich kann verraten, es ist ein Berggipfel und von dem hat man einen wunderschönen Blick auf den Sonnenuntergang.
Welches ist dein liebster Brauch oder deine liebste Tradition?
Es ist kein typischer Brauch, aber seit wir hier wohnen sind wir jedes Jahr den Chiemgau Trailrun mitgelaufen. Wir sind kleiner gestartet mit der Halbmarathon-Distanz und sind jetzt bei der 38 km Distanz. Ich plane das auch noch auszubauen auf die lange Distanz.
Was ist ein perfekter Tag für dich im Achental?
Der startet für mich ziemlich früh morgens mit einer Berg- oder Klettertour. Dann am Gipfel mit einer Brotzeit und beim Rückweg dann gerne bei einer Alm vorbei auf ein Stück Kuchen oder Almbrotzeit. Ausklang dann zukünftig am liebsten in Unterwössen im eigenen Garten.
Welches ist dein bayerisches Lieblingswort? Und was bedeutet es?
Wir sind ja noch nicht so lange hier, deswegen habe ich noch nicht das eine bayerische Lieblingswort.
Kurze Fragen zu Kulinarik in Bayern:
Bosna oder Weißwurst? Weder noch. Gern was Vegetarisches.
Leberknödel oder Spinatknödel? Spinatknödel
Schweinsbraten oder Chiemseerenke? Lieber eine Almbrotzeit
Berggehen oder Bergradeln? Beides.
Gerne mit dem Radl in die Nähe des Berges und dann auf den Gipfel wandern.
Berggipfel oder Bergsee? Beides, am besten in Kombination.
Alpinski oder Nordicski? Skitouren
Was ist dein Lebensmotto?
Das englische Zitat: ‚Giving is the way of getting.‘
Wenn ich viel gebe, bekomme ich auch viel zurück. Das passt auch gut zum Ehrenamt.