Notfall am Berg: Die Bergwacht im Einsatz

Die Berge im Achental bieten viele Touren mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden, die man zu Fuß oder mit dem Fahrrad erklimmen kann. Für Könner oder Anfänger, für Sportler oder für Genießer, rasant oder gemütlich, zur Morgenstund oder nach Feierabend – die Hauptsache ist, man kommt wieder unversehrt unten im Tal an.

Eine gründliche Vorbereitung ist dabei die beste Voraussetzung, damit vom Ausflug auf den Berg nur Glücksmomente und schöne Erinnerungen bleiben. Das beginnt bei der entsprechenden Ausrüstung, der richtigen Tourenplanung, der Einschätzung des eigenen Könnens, aber auch dem Wissen, was in einem Notfall am Berg zu beachten ist.

In unserer Reihe „Notfall am Berg“ erfahrt ihr, wie ihr in verschiedenen Notsituationen, die am Berg auftreten können, richtig reagiert.

 

Wir haben mit Sepp Auer, Bereitschaftsleiter und Einsatzleiter bei der Bergwacht Marquartstein getroffen – und er hat uns an seinem Bergwacht-Alltag teilhaben lassen.

 

Welches sind die häufigsten Fehler, die am Berg gemacht werden?

Gleich vorneweg: Es muss nicht immer ein Fehler gemacht werden, manchmal passiert halt einfach etwas. Auch ich kann, trotz richtigem Schuhwerk, einfach an der falschen Stelle ausrutschen. Es gibt am Berg einfach keine hundertprozentige Sicherheit. Wenn man von Fehlern spricht, dann ist das meistens fehlende Vorbereitung. Da geht’s los bei beim falschen Schuhwerk oder bei der fehlenden Kondition für die ausgewählte Tour. Bei Fahrradfahrern kommt noch hinzu, dass sie manchmal nicht den Wegverhältnissen angepasst fahren, und oftmals sogar ohne Helm – bergab kann das sehr schnell gefährlich werden.

 

Wie lassen sich Notfälle am Berg vermeiden?

Die richtige Vorbereitung ist das Allerwichtigste. Wenn ich noch nie am Stahlseil gegangen bin, sollte ich mir dafür einen erfahrenen Begleiter mitnehmen oder vorher einen Kurs machen. Ich sollte das Wetter im Blick haben, früh losgehen, genug zu trinken mitnehmen. Ich muss mich über die Tour informieren, Länge, Höhenmeter, Wegbeschaffenheit und mich dann fragen: Traue ich mir das zu? Eine realistische Selbsteinschätzung ist genauso wichtig wie die richtige Vorbereitung. Außerdem sollte man immer jemandem Bescheid sagen, wohin man geht – sei es dem Vermieter der Unterkunft, Freunden oder Familienmitgliedern.

 

Wie groß ist euer Einsatzgebiet und wie viele Einsätze habt ihr im Jahr bei der Bergwacht Marquartstein?

Unser Einsatzgebiet ist im Vergleich zu den anderen Bereitschaften im Achental extrem groß, denn es erstreckt sich über die Gemeindegebiete Marquartstein, Staudach-Egerndach und Unterwössen/Oberwössen. Wir haben im Schnitt 30 Einsätze pro Jahr, von denen die meisten im Sommer stattfinden. Da wir kein Skigebiet zu betreuen haben und keine sehr populären Skitourenziele in unserem Gebiet sind, halten sich die Einsätze im Winter in Grenzen.

 

Was war dein schönstes Erlebnis in all den Jahren, seit du Einsatzeiter bist?

Schön ist bei mir mit erfolgreich und erfreulich gleichzusetzen: Ich erinnere mich hier insbesondere an eine Reanimation eines Wanderers vor einigen Jahren. Die Gruppe, mit der er unterwegs war, hat alles richtig gemacht und, angeleitet durch die Leitstelle, gleich mit der Reanimation begonnen. Der Rettungshubschrauber Christoph 14 und unsere Einsatzkräfte waren innerhalb kürzester Zeit an Ort und Stelle, und konnten die Versorgung professionell fortsetzen, sodass der Wanderer heute ohne bleibenden Schaden durchs Leben gehen kann.

Wie läuft ein Einsatz ab? Worauf muss man achten, wenn man in Bergnot gerät?

Natürlich ist das immer eine Ausnahmesituation, aber man kann sich schon etwas vorbereiten. Zum Beispiel sollte man immer ein vollständig geladenes Handy mit eingeschaltetem Ortungsdienst dabei haben, wenn man aufbricht. Wird der Notruf 112 gewählt, stellt die Rettungsleitstelle die fünf W-Fragen:

Wo ist etwas passiert?

Wer ruft an?

Was ist passiert?

Wie viele Betroffene?

Warten auf Rückfragen!

Der genaue Standort ist dabei besonders wichtig, denn er wird von der Leitstelle direkt an die Bergwacht übermittelt. Wir bekommen eine Meldung auf unser Handy – und unser Einsatz beginnt. Jetzt sollte der Anrufer möglichst nicht mehr telefonieren, um für Rückfragen erreichbar zu bleiben.

Je nachdem, welche Verletzungen an die Leitstelle übermittelt wurden, wird gleichzeitig der Hubschrauber alarmiert. Wir rücken aber immer auch bodengebunden aus, weil es sein kann, dass der Hubschrauber zu einem anderen, schwereren Einsatz gerufen wird oder sich das Wetter ungünstig entwickelt und der Hubschrauber nicht am Einsatzort landen kann.

Bei einer Vermisstensuche alarmieren wir noch den sogenannten Vermisstenberater und auch ein Technikbus, der bei der Bergwacht Traunstein stationiert ist und allen Bergwachten im Chiemgau zur Verfügung steht, wird angefordert. Der Technikbus hat Drohnen und Wärmebildkameras und weitere technische Ausrüstung an Bord und unterstützt uns bei der Suche nach Vermissten.

 

Welche Entscheidungen musst du als Einsatzleiter treffen?

Grundsätzlich trägt der Einsatzleiter die Verantwortung für den Einsatz – und auch für alle eingesetzten Einsatzkräfte. Wer ist fit genug für den Einsatz? Wer kennt sich in dem Gebiet gut aus? Kann ich jeder Einsatzkraft, insbesondere einem noch in der Ausbildung befindlichen Anwärter, den Einsatz zumuten? Das sind alles Fragen, die ich mir innerhalb weniger Minuten stellen und auch beantworten muss. Bei manchen Einsätzen muss man, je nachdem wie viele Einsatzkräfte zur Verfügung stehen, nachalarmieren oder eine der benachbarten Bergwachten dazu anfordern. Wenn ein Notruf eingeht, bin ich nach wie vor sehr angespannt – denn es passiert so viel gleichzeitig und manchmal sind wenige Minuten entscheidend, um den Einsatz sauber koordinieren zu können. Trotz großer Erfahrung ist das nicht immer leicht und ich versuche einfach ruhig zu bleiben und die richtigen Schritte einzuleiten.

 

Was ist das Wichtigste bei eurer Arbeit?

Es ist extrem wichtig, dass sich unsere Einsatzkräfte in unserem großen Einsatzgebiet möglichst überall gut auszukennen. Daran arbeiten wir auch stetig, wir machen jedes Jahr eine sogenannte Gebietserkundung, um die Ortskenntnisse der Leute zu verbessern. Vor allem, wenn man bei einer Vermisstensuche keine brauchbaren Koordinaten hat, muss man das Gebiet und möglichst alle Steige kennen. Auch regelmäßige Ausbildungen in diversen Rettungstechniken und in der Notfallmedizin gehören natürlich zwingend dazu.

Wir brechen nie alleine zu einem Einsatz auf, auch bei einem kleinen Einsatz rücken meist vier bis sechs Personen aus – Bergwacht ist Teamarbeit, ein gutes Miteinander ist mir als Bereitschaftsleiter sehr wichtig.

 

Wie geht ihr damit um, wenn ein Einsatz mal nicht gut ausgeht?

Gott sei Dank gehen die allermeisten unserer Einsätze ja nicht tragisch. Grundsätzlich versuchen wir nach jedem Einsatz zeitnah eine Nachbesprechung zu machen, bei belastenden Einsätzen mit Schwerverletzten oder Todesfällen ist das sogar extrem wichtig. Bei Einsatzkräften, die zum ersten Mal so etwas erleben, ist die Aufarbeitung besonders wichtig. Ich kann schwere Einsätze mittlerweile meist recht gut verarbeiten. Unterschiedlichste Traumata können allerdings zeitverzögert auftreten. Unsere Einsatzkräfte können sich dafür ein an PSNV-Team (Psychosoziale Notfallversorgung) wenden. Für Angehörige und Begleiter von Unfallopfern gibt es das sogenannten KID-Berg (Kriseninterventionsteam), welches im Notfall sofort alarmiert wird und so lange die Betreuung übernimmt, wie es die Situation erfordert.

 

Was habt ihr bei einem Einsatz dabei?

Wir haben zwei Fahrzeige zur Verfügung, ein Rettungsfahrzeug und ein geländegeeignetes Quad. In den Fahrzeugen sind diverse Rettungsgeräte wie eine Gebirgstrage, Rettungsdreiecke, unterschiedlichste Schienen, ein NA-Rucksack mit Sauerstoff, ein Defibrillator und natürlich diverses alpinistisches Rettungsmaterial. Alle unsere Geräte und Utensilien sind verplombt. Sie werden nach jedem Einsatz sortiert, überprüft und wieder verplombt. Konsequenz und Gewissenhaftigkeit hat hier oberste Priorität: Unsere Einsatzkräfte sind jederzeit, 365 Tage, 24 Stunden, einsatzbereit.

Je nach Einsatzszenario schicken wir fast immer mindestens zwei Trupps los, jede Gruppe hat ein Voraustrupp-Technik-Sackerl sowie einen kleinen Voraustrupp-Notfallmedizinrucksack.

Wie schaut mit dem Bergwacht-Nachwuchs aus?

Für die Anwärter gibt es einen Eignungstest: Diverse Klettertechniken, Knoten, und ein Konditionstest im Sommer, Skibergsteigen, alpines Skifahren, Schnee- und Lawinenkunde im Winter – das sind die bergsteigerischen Voraussetzungen, damit sie die bergwachtspezifische Ausbildung überhaupt beginnen können. Diese dauert zwei bis vier Jahre und verlangt den Anwärtern einiges ab. Aktuell haben wir keine Probleme mit dem Nachwuchs. Neun Anwärter mit unterschiedlichen Ausbildungsstadien werden aktuell von unserem Ausbildungsteam betreut – so viele wie noch nie.